Was Theater alles kann (und soll?)
- Theater Allround
- 11. Apr.
- 2 Min. Lesezeit

Ich bin infiziert: Theater ist ein Virus, der mich schon seit meiner Kindheit befallen hat und ich werde ihn nicht los. Zum Glück! Ich genieße die Freiheit auf der Bühne, die Freiheit im Kopf, die mir das Theater erlaubt. Wenn ich nach einem Arbeitstag den Probenraum betrete, braucht es eine Weile, bis Kopf und Körper auf "Theater-Betriebstemperatur" sind, und dann werde ich mit jedem Wort, jeder Geste freier und leichter. Auch wenn ich die Gruppe leite und selbst nicht alle Übungen mitmache, nicht in den Szenen mitspiele, so spüre ich doch diese Momente, frei von sozialen Zwängen und Erwartungen zu sein.
Wenn ich auf der Bühne stehe, dann lasse ich meine Rolle übernehmen, konzentriere mich auf meinen Spielpartner und meine Spielpartnerin und bin ganz im Moment. Der Stress im Büro, die Aufgaben in meiner Familie, Einkaufszettel und To-Do-Listen sind dann ganz weit weg. Theater erlaubt mir, neue Verhaltensmuster auszuprobieren, neue Erfahrungen zu sammeln und zu lernen. Auf und vor der Bühne kann ich so viel mehr lernen als im "echten Leben", weil alles möglich ist und die Konsequenzen nahezu keine Rolle spielen. Jedenfalls keine, die wirklich schlimm ist: selbst eine Rolle, die bösartig ist und Dinge tut, die ich im Leben niemals tun würde, ist nur eine Rolle und wird nach der Probe wieder abgelegt. Ins wahre Leben nehme ich alles mit, was gut ist - und was schlecht ist, bleibt einfach weg. Doch das ist noch nicht alles: auf der Bühne kann ich nicht nur neue Realitäten erschaffen, ich kann auch die Realität reflektieren, andere Blickwinkel einnehmen und versuchen, aus den Fehlern anderer zu lernen. Oder ich kann aufmerksam machen auf das, was mich im Leben bewegt und belastet, ohne direkt alles anzusprechen. Einfach, indem ich meine Sicht der Dinge bearbeite, theatral umsetze und dem Publikum etwas zum Denken mitgebe.
Theater kann die Leute zum Lachen bringen, zum Weinen und zum Nachdenken. Alles finde ich spannend, alles ist in mir und will ans Tageslicht. Auch in der aktuellen Produktion liegen diese Momente nebeneinander und manches will mir einfach nicht aus dem Sinn. So zum Beispiel die Art, wie zur Zeit Goethes mit Frauen umgegangen wurde. Goethes Faust kann man nur zu verstehen versuchen, wenn man sich mit seiner Zeit und den Lebensumständen Goethes beschäftigt hat. Ich habe das getan, lese den Faust immer wieder und entdecke so viele Stellen, an denen sein Frauenbild ganz sicher nicht meinem entspricht. Als Frau hätte ich nicht zu Goethes Zeit leben wollen. Und jetzt stehe ich vor der Entscheidung, was ich erzählen möchte: will ich aufmerksam machen auf die Wahrnehmung der Frau zu Goethes Zeiten, will ich das alles mit dem heutigen Frauenbild in Verbindung bringen, was ist meine Meinung dazu und was soll oder kann das Publikum davon mitnehmen?
Unsere Erzählweise kann die Wahrnehmung des Publikums beeinflussen, meine Art der Probenarbeit kann die Perzeption des Stücks verändern, wir können uns auf eine Sichtweise beschränken oder uns auf viele Arten dem Stoff annähern. Was kann und was soll Theater in diesem Fall tun?
Lasst euch überraschen und mitnehmen auf eine Reise in eine Welt mit Magie, Zweifeln, Liebe, Tod und Leidenschaft. Theater kann das alles und noch viel mehr!
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