Da steht der schlaue Doktor Faustus und will sich das Leben nehmen, weil er sich seiner Unwissenheit trotz all der irdischen Weisheiten so gewiss ist. Er hat eigentlich alles, was man als Mann in seiner Zeit haben sollte: eine gute und umfangreiche Ausbildung, einen sicheren Job an der Uni, und auch ein gewisses Ansehen in der Welt. Er ist wohl das, was man als "gute Partie" bezeichnen könnte. Auch wenn er nicht besonders viel Geld beiseitegelegt hat und sich nicht viel aus Mode macht, so scheint er durchaus als Schwiegersohn zu taugen. Doch das alles will er so nicht mehr, er sehnt sich nach MEHR, nach LEBEN. Das neue, bunte Leben soll es werden, nicht das bekannte, graue. Seine Sehnsucht treibt ihn an, wie eine Sucht den Süchtigen zum immer nächsten Glimmstängel greifen lässt, immer tiefer in die Flasche schauen lässt, immer mehr Tabletten einwerfen lässt. Das hat er wohl auch alles schon versucht, der gute Dr. Faustus, nur hat es ihm nicht gereicht. Der Rausch war noch nicht bunt genug, das Leben noch nicht neu genug.
Ja, wenn es nur Geister in der Luft gäbe, die ihn wegführen könnten. Da kommt der Mephisto gerade recht, so ein Versprecher, Angeber. Der nur so vor Selbstbewusstsein strotzt und sich so sicher ist, den Weg zum neuen, bunten Leben zu kennen. Und nicht nur das, er behauptet, er kann den Faust auch dahin führen. In seine Sehn-Sucht. Dessen ist er sich so sicher, dass er darauf einen Vertrag eingeht und das Höchste einfordert, was er verlangen kann: eine menschliche Seele. Und Faust ist sich sicher, dass er nichts zu verlieren hat. Er spielt, mit seiner Seele als ultimativem Spieleinsatz.
War das Spielsucht, Sehnsucht, Sucht nach Abenteuer oder einfach nur dumm? Ich kann das nicht einschätzen, auch wenn ich diese Sehnsucht in gewisser Weise durchaus kenne. Der Wunsch nach mehr, nach neuem, buntem Leben. Raus aus diesem täglichen Einheitsgrau und hinein in die schöne Welt der bunten Erfahrungen und außergewöhnlichen Abenteuer. So wird es uns ja täglich vorgelebt auf Instagram und co. Die sozialen Medien sind voll davon, von Menschen, die bunt und neu leben. Menschen, die gut aussehen, glücklich in die Kamera strahlen, mit hochpreisigen Autos durch ferne Länder fahren, auf teure Expeditionen und Selbstoptimierungsreisen gehen... wenn die das können, dann kann ich das ja wohl auch! Wozu brauche ich da Geister? Oder sind die bunten Bilder im Internet genau diese Geister in der Luft, die Faust anruft, um ihn in das neue, bunte Leben zu führen? Sind das alles vielleicht nur moderne Versionen der Versuchung, des Suchens nach mehr...
Sehnsucht, süchtig nach mehr, Geister in der Luft. So anders ist die Welt des Faust ja gar nicht, so weit weg von unserer Realität sind seine Gedanken dann doch nicht. Faust war es bisher nie genug, das Leben nicht und auch das Lernen nicht. Seine Suche, seine Sehn-Sucht nach dem neuen, bunten Leben. In dem Szenario fehlt mir nur etwas: wo bleibt da die Liebe? Ja, er ist ein gelehrter Mann, hat alles, was man so zum Leben braucht, aber wo ist der Mensch, den er liebt? Wofür schlägt sein Herz? Vielleicht ist es das, was ihm so sehr fehlt, dass er die Geister in der Luft nach neuem, buntem Leben anruft. Vielleicht ist es auch das, was den Selbstoptimierern und Selbstinszenierern in den sozialen Medien fehlt: Liebe. Wahre, reine und kompromisslose Liebe, diese Kraft, die die Welt im Innern zusammenhält. Zumindest meine kleine Welt wird davon zusammengehalten und ich wünsche allen, dass auch sie eine solche umfassende Liebe in ihrem Leben haben, die jede Sehn-Sucht stillt.
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