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Geschichten - Spiegel des Lebens

  • Autorenbild: Theater Allround
    Theater Allround
  • 12. Juni
  • 2 Min. Lesezeit

Geschichten waren schon immer ein wichtiger Teil meines Lebens: als 8jährige kam ich mit der abenteuerlichsten Geschichte nach Hause, die erklärte, warum ich mich zwei Stunden verspätet hatte. Mit 16 habe ich Geschichten in Bewegung erzählt, mit anderen ein ganzes Buch vertanzt nach einer eigenen Choreographie ("I Never Promised You a Rose Garden"von Hannah Green) und mit Mitte 20 habe ich begonnen, jeden Abend meinen Söhnen die Geschichten vom großen Bären und vom kleinen Bären zu erzählen. Darin verpackte ich die Erlebnisse des Tages, in einer Geschichte mit dem immer gleichen Anfang - "Der große Bär und der kleine Bär lebten zusammen in ihrer Höhle" - und immer gleichen Ende - "Gute Nacht, großer Bär, gute Nacht, kleiner Bär.". Jahrelang haben meine Söhne diese Geschichten eingefordert, und wenn ich damals nicht so erschöpft vom Tag gewesen wäre, dann hätte ich daraus ein Buch gemacht, die Bilder dazu hatte ich schon vor meinem inneren Auge. Aber die Zeit und die Kraft waren nicht vorhanden, und so sind die Geschich-ten einzig in den Köpfen und Herzen meiner Söhne zu finden, der Welt verschlossen, und doch immer noch da.

Goethes Geschichte von Faust ist eine mächtige, viele Handelnde, viele Orte, Zeitsprünge und Taten. Wie soll ich das alles an einem Abend erzählen? Welcher Teil der Geschichte ist mir am wichtigsten? Muss nicht alles erzählt werden, einfach weil es da ist?

Nein, es muss nicht alles erzählt werden, und nicht alle hören dieselbe Geschichte, auch wenn sie zur selben Zeit die Erzählung hören. Als ich meinen Söhnen die Geschichte vom großen und kleinen Bären erzählte, da hörte der ältere die Geschichte vom großen Bären, der jüngere die vom kleinen Bären. Wir hören immer genau das, was wir gerade verarbeiten können, wollen oder vielleicht auch müssen. Manchmal sind Geschichten Vehikel zur Heilung, manchmal Urlaub, ein andernmal Anstoß zum (Um-)Denken. Nie ist eine Geschichte einfach beliebig, ihr Wert entsteht beim Erzählen. Und das ist unabhängig davon, ob ich sie aufschreibe, lese, vor mich hin fabuliere oder für die Bühne adaptiere.

Wir werden die Geschichte von unserem Faust erzählen, wie wir es brauchen und wollen: mit unseren Erfahrungen vermischt und mit unseren Stimmen vertont. Es wird einzigartig, neu und ganz anders, als wir den Faust bisher gesehen haben. Weil wir die Geschichte mit unserem Leben füllen, an unserer Realität messen und unsere Körper zum Erzählen nutzen. Jeder wird sich darin zu einem Teil erkennen, in diesem ganz besonderen Spiegel des Lebens.


 
 
 

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